Erfurt, Winnenden, Ansbach. Vor allem diese drei Städte werden häufig von „Waffen-Gegnern“, stellvertretend für alle Städte in denen Amokläufe in der jüngeren Geschichte Deutschlands begangen wurden, genannt. All diese Amokläufe wurden mit Schusswaffen begangen. Immer wieder werden deshalb Stimmen laut, die ein absolutes Verbot von jeglichen Schusswaffen, auch für Sportschützen und Jäger fordern.
Ein Jahr nach dem Amoklauf in Winnenden nahm der Journalist Roman Grafe dieses Thema in der Ausgabe Nr. 33/2010 in einem Beitrag auf. Der Titel: „Schießen ist kein Menschenrecht“. Eine überspitzte Ohrfeige für alle Sportschützen.

Jürgen Kohlheim, Jurist und damaliger Vizepräsident des Deutschen Schützenbundes schrieb folgende Antwort auf den Artikel:

Sportschützen sind keine potentiellen Mörder.

Ein Plädoyer für das Sportschießen.

Ein Schusswaffenverbot verhindert keinen Amoklauf.

Das Schützenwesen in Deutschland ist viele Jahrhunderte alt. Der älteste Schützenverein wurde urkundlich erstmals 1198 erwähnt. In den folgenden Jahrhunderten gründeten sich in vielen Orten die Vereine zum Schutz der Bürger; der Begriff des Schützen hat seinen Ursprung daher in dieser damals ehrenvollen Aufgabe, das Gemeinwesen zu sichern. Dies geschah zunächst mit der Armbrust, bevor nach der Entwicklung des Schwarzpulvers ab 1324 die ersten Feuerwaffen zum Einsatz kamen. Zwei Jahrhunderte nach dem Gewehr wurden kürzere und damit handlichere Waffen entwickelt: Pistole bzw. Revolver – ursprünglich als Schusswaffe für Reiter erfunden – waren um 1500 als Vorderlader in Gebrauch; Selbstladepistolen erschienen erst ab 1893.

Die Geschichte zeigt uns aber, dass bereits in den frühen Jahren nach der Erfindung von Gewehr und Pistole diese nicht nur zum Schutz der eigenen Bevölkerung und im Krieg eingesetzt wurden. Denn bald wollten sich die Männer in den Vereinen auch im friedlichen Wettkampf messen, um zu sehen, wer der bessere Schütze ist. Man traf sich zum Schützenfest, um auf den Vogel oder auf kunstvoll bemalte Schützenscheiben zu schießen. So entstand in Jahrhunderte langer geschichtlicher Entwicklung das heutige Schützenwesen. Im Vormärz (1815 – 1848) wurden die Schützenvereine zusammen mit den Turnern zu wesentlichen Trägern einer demokratischen Opposition gegenüber den einzelstaatlichen Herrschern und blieben dies bis weit in die Gründerzeit hinein.

Aus dieser Tradition heraus entstand das Sportschießen in seinen vielfältigen Ausgestaltungen. Bei den ersten Olympischen Spielen 1896 war das Sportschießen bereits mit zwei Gewehr- und drei Pistolendisziplinen vertreten – übrigens im Großkaliber, denn das Kleinkaliber wurde erst Jahre später erfunden. Die ersten olympischen Medaillen für den 1861 gegründeten Deutschen Schützenbund gab es 1912.

Der Erwerb von Kurzwaffen (Pistole und Revolver) und Langwaffen (Büchse und Flinte) ist in der Bundesrepublik inzwischen streng geregelt. Allgemein gilt, dass Deutschland eines der schärfsten Waffengesetze in Europa und der Welt hat. Nach dem kurzfristigen Verbot des Waffenbesitzes nach dem 2. Weltkrieg erlaubten die Alliierten bald wieder den Erwerb von Waffen, so dass das Sportschießen in den Schützenvereinen wieder aufgenommen werden konnte. Während sich in der Bundesrepublik recht bald ein blühendes Schützenwesen mit erfolgreichen Sportschützen entwickelte, ließ die DDR Schützenvereine nicht zu und stellte das Sportschießen als staatliche Aufgabe unter eine strikte staatliche Reglementierung. Bis zum Jahr 1973 war ein gegenüber heute erleichterter Erwerb von Schusswaffen in der Bundesrepublik möglich. Während dieser Zeit gab es – sieht man von dem Flammenwerfer-Attentat 1964 auf eine Schule in Volkhoven ab – keine Amokläufe. Aufgrund der Attentate der so genannten Baader-Meinhof-Bande wurde sodann 1973 der Erwerb und Besitz von Schusswaffen streng reglementiert. Dieses Gesetz wurde 2003 novelliert, wobei nach dem Amoklauf von Erfurt der vom Bundestag bereits beschlossene Gesetzentwurf noch einmal verschärft wurde. Eine Feuerwaffe darf seitdem nur erwerben, wer 1.) 25 Jahre alt ist (Ausnahmen bei Vorlage eines psychologischen Gutachtens und für bestimmte Kleinkaliberwaffen), 2.) die erforderlich Zuverlässigkeit hat, 3.) die persönliche Eignung besitzt, 4.) ein konkretes Bedürfnis für den konkreten Waffenerwerb nachweist, 5.) mindestens ein Jahr am Sportschießen im Verein teilgenommen hat, 6.) eine staatlich kontrollierte Sachkundeprüfung abgelegt hat und 7.) die gesetzmäßige Aufbewahrung in klassifizierten Tresoren nachweist. Diese Voraussetzungen werden von den zuständigen Behörden akribisch geprüft. Auch nachdem die Behörde den Erwerb der vom Sportschützen für eine konkrete Disziplin notwendige Sportwaffe bewilligt hat, bleibt der Sportschütze unter staatlicher Aufsicht: Mindestens alle drei Jahre wird er von Amts wegen auf seine Zuverlässigkeit und persönliche Eignung – kostenpflichtig – überprüft. Zudem wird regelmäßig das Fortbestehen des Bedürfnisses zum Waffenbesitz überprüft. Seit der Gesetzesänderung nach Winnenden wird der Sportschütze zudem daraufhin kontrolliert, ob er seine Waffen auch tatsächlich entsprechend den gesetzlichen Anforderungen aufbewahrt.

Wer im Verein sportlich schießen will, muss für Wettbewerbe mit Großkaliberwaffen mindestens 18 Jahre alt sein, für Kleinkaliber mindestens 14 Jahre. In beiden Fällen geschieht das Schießen unter Aufsicht, für unter 16-jährige ist darüber hinaus eine weitere qualifizierte Aufsichtsperson mit entsprechender Lizenz erforderlich. „Rumballern“ auf dem Schießstand gibt es nicht, denn die schießsportlichen Disziplinen finden nach einem konkreten Regelwerk statt, das vom Bundesverwaltungsamt im Detail geprüft und genehmigt wird. Ein „Feuern mit Pumpguns“ – eine solche Waffe wurde vom Amokläufer in Erfurt benutzt – ist nicht möglich, da diese Waffenart im Waffengesetz von 2003 verboten wurde.

Das Sportschießen mit seinen vielfältigen Disziplinen ist also geregelt wie keine andere Sportart. Jede Disziplin hat ihre besonderen Anforderungen an Training, Konzentration und Bewegungsablauf. Wer fordert, die Sportschützen könnten mit Druckluftwaffen schießen, verkennt grundsätzlich das sportliche Element, das durch die verschiedenen Disziplinen geprägt wird. Niemand kommt auf den Gedanken, beim Boxen zu fordern, nur noch Weltergewichtskämpfe zuzulassen und die anderen Disziplinen bis zum Schwergewicht zu streichen. Das Training für das Sportschießen ist auch kein Training mit tödlichen Waffen. Zur tödlichen Waffe wird das Sportgerät erst dann, wenn der dahinter stehende Mensch es missbraucht. Dies gilt aber für viele Dinge, die im bestimmungsgemäßen Gebrauch keine Gefahr bilden, jedoch durch menschliches Versagen zum gefährlichen Instrument werden können. Die Kriminalstatistik belegt, dass „nur“ etwa 10% aller Morde mit Schusswaffen geschehen, darunter zu 90% mit illegalen Schusswaffen; weit gefährlicher sind Messer und sogar die Hände des Menschen. Im übrigen zeigt die britische Kriminalstatistik nach dem handgun-ban, dem totalen Kurzwaffenverbot nach dem Amoklauf in Dunblane, einen dramatischen Anstieg der Tötungsdelikte mit Schusswaffen, obwohl es die doch eigentlich nicht mehr gibt.

Ein Verbot von Schusswaffen würde Amokläufe nicht verhindern. Dies haben die – Gott sei Dank glimpflich abgelaufenen – Schulamokläufe mit Molotow-Cocktails und Messern von St. Augustin und Ansbach bewiesen. Ist eine Schusswaffe nicht verfügbar, so wird ein anderes Tatmittel gesucht. Doch dies wird in der Diskussion ausgeblendet, denn es ist einfach, nach Erfurt und Winnenden sich allein auf das Tatmittel zu konzentrieren – die böse Waffe. Wer abends den Fernseher einschaltet, schaut oft als erstes in die Mündung einer Schusswaffe – dies ist gesellschaftlich akzeptiert, denn die Toten der vielen Filme stehen danach wieder auf. Doch setzt man sich ernsthaft mit der Problematik von Amokläufen auseinander, so erkennt man, dass das Tatmittel – die Waffe – nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem Tableau ist, zu dem noch Anderes, Entscheidenderes gehört:
– das gesellschaftliche Umfeld in einer immer ich-bezogeneren Gesellschaft,
– das Ausgrenzen bzw. Mobbing in der Schule durch Lehrer und Mitschüler,
– die „falsche“ Erziehung oder das Versagen des Elternhauses,
– das Ausgrenzen und Hänseln durch Freunde und Bekannte,
– aggressive Computerspiele mit spielerischen Darstellungen des Tötens,
– reißerische Berichte in den Medien über „erfolgreiche“ Amokläufer,
also alles was zum Frust über die eigene Situation führt, um dann in einer Verzweiflungstat auszubrechen. Wer nicht gewillt ist, sich mit diesen vielfältigen Ursachen auseinander zu setzen, sondern nur monokausal denkt und dabei seinem Vorurteil gegenüber Schusswaffen, Schützen und Sportschießen freien Lauf lässt, dem spreche ich die Berechtigung ab, sich das Leid der von Amoktaten betroffenen Eltern zu nutze zu machen und gegen eine gesamte Bevölkerungsgruppe zu Felde zu ziehen. Wer als Sportschütze die Regelungen des Waffengesetzes strikt befolgt, stellt kein Risiko für die Bevölkerung dar – denn die öffentliche Sicherheit liegt auch uns Sportschützen als Teil einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft am Herzen.

Die Antwort an Roman Grafe (DIE ZEIT Nr. 33) ist: Es gibt ein Menschrecht auf Sport, nichts anderes fordern die zwei Millionen Sportschützen, wenn sie weiterhin ihren international anerkannten Disziplinen nachgehen wollen. Sportwaffen sind bestimmungsgemäß gerade keine Mordwaffen, ebenso wie Sportschützen auch keine Mordschützen sind; deshalb müssen sie auch nicht auf ihre Sportwaffen verzichten.